Eine gute Beziehung zu anderen … und zu sich selbst

Der erste Schlüssel ist die Erkenntnis, dass wir einander brauchen. Die zweite besteht in der Entfaltung eines „gesunden Maßes an Selbstbewusstsein“: einerseits erkennen, dass ich die anderen brauche und andererseits, dass ich auch ein eigenes Potenzial, eigene Ressourcen besitze.
Es geht hier um die Erkenntnis, dass ich „nicht zugrunde gehen werde, wenn jemand böse auf mich ist und mir aus dem Weg geht“, dass ich „auch weiterleben kann, wenn der andere nicht zufrieden ist“. Wenn wir auf Ablehnung stoßen, haben wir mehrere Möglichkeiten: auf unserer Forderung beharren, verhandeln oder uns an einen anderen wenden. Auch wenn wir gute Beziehungen zu anderen brauchen, so ist die erste Beziehung, die wir pflegen sollten (und die zu oft vernachlässigt wird), die Beziehung zu uns selbst.
Mit sich selbst im Reinen zu sein, ist keine Selbstverständlichkeit. Davon können wir uns überzeugen, indem wir die kleinen inneren Stimmen hören, vor allem was sie sagen, wenn wir in Schwierigkeiten sind. Wie oft machen wir uns selbst Vorwürfe, wie oft üben wir Kritik an uns selbst aus, „das hätte ich mal lieber bleiben lassen“, „was bin ich für ein Trottel“, gemessen an den positiven Dingen, die wir uns sagen?
Auch wenn Selbsttadel (also Selbstzüchtigung) nach einem Fehler oder einem Versagen normal, fast natürlich erscheint, ist dieses Verhalten alles andere als normal! In Wirklichkeit ist dies nur eine schlechte Gewohnheit aus unserer Vergangenheit. Man kann (oder sollte) lernen, gut mit sich selbst umzugehen, zunächst in der Familie oder Schule (Verbindung zwischen Aufgaben und Pflichten/Erziehung?). So wird „schlechtes“ Verhalten beispielsweise viel häufiger bemerkt als „gute“. Das Klima wird also bestimmt durch Vorwürfe, als ob diese uns helfen würden, einen besseren Weg zu finden. In Wirklichkeit funktioniert das nicht oder kaum, aber die Sache ist nicht mehr auszubügeln… Die Gefahr ist groß, dass wir als Erwachsene in dieser Spur bleiben. So entstehen zu viele Schuldgefühle und zu wenig Wohlwollen (Selbstwerteinschätzung) uns selbst gegenüber.
Die gute Nachricht ist, dass die Art, mit uns selbst umzugehen, das Ergebnis eines Lernprozesses ist. Dann ist es auch möglich, zu lernen, gut zu sich selbst zu sein. Hierzu müssen wir der Wertschätzung den ihr zustehenden Platz geben, denn das wird uns helfen, neues Selbstvertrauen zu entwickeln. Wir lernen im Übrigen mehr durch positive Verstärkung (Lob für alles, was gut klappt) als durch negative Verstärkung (Tadel für alles, was nicht gut klappt). Ein positiver Blick auf uns selbst ist nicht nur wichtig für unser eigenes Gleichgewicht, sondern auch für die Entfaltung guter Beziehungen zu anderen. Hierbei handelt es sich weder um Egoismus noch um Angeberei! Keinen positiven Blick auf sich selbst zu haben, kann als Alarmzeichen gewertet werden. Das bedeutet, dass wir uns selbst nicht genug unterstützen, mit dem Ergebnis, dass wir uns nicht den uns zustehenden Platz in unseren Beziehungen geben. Bildhaft dargestellt könnte man eine Beziehung als Brücke zwischen zwei Menschen darstellen. Die Menschen sind die Pfeiler dieser Brücke. Diese hält nur, wenn die Pfeiler solide sind. Sobald einer der Pfeiler wankt, gerät die Brücke ins Wanken. Mit anderen Worten: wir müssen den Pfeiler, den wir darstellen, gut untermauern, damit wir harmonisch mit anderen zusammenleben können.
Gute zwischenmenschliche Beziehungen entwickeln
Unsere psychische Energie schöpfen wir in erster Linie aus der Anerkennung dessen, was wir sind (Menschenwürde, Platz, den wir innehaben, Wertschätzung) et aus den damit verbundenen positiven Gefühlen (Vertrauen, Wohlgefühl). Aber wenn unsere Nahrung zu sehr von dem abhängt, was andere über uns denken, bleiben uns wenig Alternativen: Dann neigen wir sehr schnell dazu, das Wohlwollen anderer zu erzwingen. Das führt zu richtig komplizierten, ja sogar ungesunden, aber auf jeden Fall wenig authentischen Beziehungen.
Hier bietet sich die Möglichkeit zu einem einfachen kleinen Test:
Nehmen Sie einen Menschen, zu dem Sie eine Beziehung haben, von der Sie zumindest hoffen, dass sie gut ist. Jetzt stellen Sie sich folgende Frage: Können Sie in aller Ehrlichkeit sagen: „Ich bin ein guter Mensch und ich finde der andere ist auch ein guter Mensch“?
Wenn die Antwort ja lautet, stehen die Chancen richtig gut, dass die Beziehung ausgeglichen ist. Wenn Sie sich aber sagen: „Der andere ist besser als ich“ oder „Ich bin besser als der andere (weiter entwickelt, ehrlicher usw.)“, oder wenn Sie weder sich selbst noch dem anderen vertrauen, dann besteht die Gefahr, dass die Beziehung zu einer Enttäuschung wird. Die einzige Grundlage für eine gesunde Beziehung ist: „Ich bin gut - der andere ist gut“.
Im heutigen Klima des Wettbewerbs, wo sogar Kochsendungen zu einem Wettkampf werden, wird es Zeit, diese Position der Gleichwertigkeit zu hegen. Dann wird unser Austausch wieder ursprünglicher und mit einem Mal auch bereichernder. Das gilt umso mehr als die Kontakte zu anderen Menschen auch dazu dienen, unsere wesentlichen Bedürfnisse als Menschen zu befriedigen.
Das Bedürfnis, dazuzugehören
Das Bedürfnis, einer Gemeinschaft anzugehören, einem Ganzen, ist in wenigen Jahrzehnten durch die allgemeine Entwicklung unserer Gesellschaft zu kurz gekommen. Die Großfamilie, in der mehrere Generationen zusammenlebten, wurde durch die Kernfamilie (Mutter, Vater, Kind), ja sogar durch die Einelternfamilie, verdrängt (wenn Eltern sich trennen und ein Elternteil das Kind oder die Kinder allein erzieht). Die Städte sind gewachsen, sind aber auch anonymer geworden. Unsere Länder stellen sich die Frage nach ihrer Identität. Unter diesen Umständen wird es schwer, sich zu einem Clan, einer Gruppe, einer Gemeinschaft zu zählen. Aber wenn dieses Bedürfnis zu kurz kommt, besteht eine echte Gefahr, aus der Bahn geworfen zu werden. Das ist genau das Umfeld, in dem wir offen werden für alle Vorschläge, die diese Schwachstelle nutzen. Um sich in einer neuen großen „Familie“ aufgenommen, willkommen oder aufgefangen zu fühlen, wäre mancher bereit, jede Wachsamkeit über Bord zu werfen.
- Sekten arbeiten nach diesem Prinzip: den Menschen, die sich einsam oder ausgeschlossen fühlen, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu vermitteln und sozusagen im gleichen Atemzug das Unannehmbare als akzeptabel erscheinen zu lassen.
- Auch alle Extremisten gehen so vor: „Schließen wir uns endlich zusammen, gegen alle anderen, die uns bedrohen!“
Das beste Mittel, gegen solche sektiererischen Entwicklungen vorzugehen, besteht darin, den Reichtum und die Vielfältigkeit unserer sozialen Netzwerke zu erhalten. Mitglied eines Chors, eines Freundeskreises, eines Sportvereins zu sein, um unser Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft von Menschen zu nähren, ist ein sehr positiver Ansatz. Diese Bindungen sind mit Sicherheit auch ein Heilmittel gegen die Erschlaffung des sozialen Netzes.
Bürgersinn und ehrenamtlicher Einsatz sind weitere Quellen der Anerkennung und der Zugehörigkeit.